Geburtsberichte von Eltern

Von 5 auf 10 in 45 Minuten

Es geht los

Es ist Mittwoch der 16.11.2022 gegen 19 Uhr und wir schauen gerade seven vs. wild als ich mal wieder eine (Übungs-) Wehe bemerke. Ich denke mir nicht viel dabei und schaue weiter. Nach fünf Minuten ist da schon wieder so eine und weitere fünf Minuten nochmal. So langsam wundere ich mich doch und gehe auf die Toilette. Dort bemerke ich eine leichte Zeichenblutung – „oh wow“ denke ich und weihe meinen Freund ein. Wir versuchen entspannt zu bleiben aber sind dann doch freudig, aufgeregt und wuseln durch die Wohnung. Die Wehen kommen weiterhin alle 5 Minuten und wir gehen gegen 21 Uhr ins Bett, um Kräfte zu sammeln. An Schlaf ist aber leider kaum zu denken, wir sind zu aufgeregt durch die „regelmäßigen“ Wehen und die Zeichenblutung. So langsam werden die Wehen auch etwas intensiver und ich beginne zu veratmen und auch zu vertönen, dabei liege ich auf der Seite und mein Freund bewegt mein Becken. Das tut gut. Manchmal sind die Wehen schon alle 2 Minuten und wir rufen gegen 5 Uhr morgens Andrea an.

Juhu wir verlassen jetzt die Wohnung und kommen mit Baby zurück – oder? Gegen 6 Uhr kommen wir im Geburtshaus an wo Andrea uns liebevoll empfängt und mir ein Bad einlässt. Im Wasser werden die Wehen wieder seltener, aber etwas kräftiger. Herztöne werden abgehört und ein CTG gemacht – Babylein geht es sehr gut. Nach einer Weile fragt mich Andrea ob ich möchte, dass sie mal nach dem Muttermund tasten soll – ich bejahe. Dann die Ernüchterung. Der Muttermund ist gerade mal eine Fingerkuppe geöffnet. Andrea empfiehlt uns wieder nachhause zu fahren und uns auszuruhen – wir haben schließlich noch immer nicht geschlafen. Sie gibt mir ein Buscopanzäpfchen mit, damit ich mal eine Stunde schlafen kann und den Tipp nicht mehr zu vertönen wenn es geht, da dies zu viel Kraft kostet. Es könnte bald weitergehen oder auch wieder ganz aufhören und erst nach fünf Tagen wieder losgehen – so kann die Latenzphase eben sein, sagt sie.

Und jetzt?

Etwas desillusioniert und sehr müde fahren wir nachhause und verbringen die meiste Zeit im Bett,  wo wir versuchen uns auszuruhen. Die Wehen sind phasenweise nur noch alle 20 Minuten aber werden langsam intensiver. Neben der Müdigkeit und der Ungeduld gibt es kurze Momente der Angst undauch Traurigkeit. Ich mache mir Sorgen noch nicht bereit zu sein Mama zu werden und was wenn ichdiese Rolle nicht mag? Ein paar sehr lösende Tränen fließen und danach geht es mir viel besser. Ichfühle mich leicht benebelt und irgendwie hingegebener. Appetit habe ich keinen, aber das ist ok, sageich mir. Gegen 20 Uhr verbringe ich ca. drei Stunden allein und höre die Eröffnungsmeditation von der friedlichen Geburt. Ich habe das Gefühl immer mehr in meine und Babys Welt einzutauchen und die Wehen werden so intensiv, dass ich intuitiv wieder mit dem Tönen beginne. Innerlich spreche ich mit meinem Baby und spüre, wie ich langsam bereit bin diesen kleinen Menschen kennenzulernen und ihn aus mir rauszulassen. Gegen 23 Uhr bitte ich meinen Freund mich zu unterstützen, da ich mich allein manchmal verkrampfe. Er bewegt wieder mein Becken und tönt mit mir. Bald darauf rufen wir Anna-Lena an. Sie bietet uns an zu uns nachhause zu kommen, um zu schauen, wie weit wir sind.

4 Mal vertönen und dann habe ich wieder ein paar Minuten Pause Gegen 1 Uhr ist sie da. Für mich sind seit dem Telefonat gefühlte 10 Minuten vergangen – ich muss in den Wehenpausen immer wieder geschlafen haben, ein schönes Gefühl. Anna-Lena gibt mir Ruhe, Vertrauen und Kraft. Gegen 2 Uhr schaut sie nach dem Muttermund und ich denke mir, dass es eh nur 2cm sein werden. Es sind aber bereits 5cm und das gibt mir einen riesen Motivationsschub – all die Wehen waren nicht umsonst und jetzt bin ich sowas von bereit diesen Menschen kennenzulernen. Anna-Lena sagt zu mir, dass es nicht unbedingt nochmal so lange braucht, bis ich vollständig geöffnet bin – eine sehr wichtige Information für mich. Meine Beine zittern und Anna-Lena überlegt kurz ob wir zuhause bleiben könnten, doch nach einem Gespräch mit Maja und meinem großen Wunsch in eine warme Wanne zu steigen fährt uns Anna-Lena ins Geburtshaus.

Alles fühlt sich rauschend an und ich bin komplett in meiner Welt. Ich habe drei Wehen im Auto, diemich sehr herausfordern und bei der letzten spüre ich plötzlich einen Pressdrang. Das verwirrt michsehr, ich bin doch erst bei 5cm – denke ich.

Gegen 3 Uhr steige ich in den Geburtspool, das Wasser ist so angenehm und warm. Ich merke, wiedie Wehen sich verändern und ich den bis hierhin geübten Flow nicht mehr habe – dieser Pressdrangirritiert mich. Anna-Lena checkt den Muttermund und sagt: „ja, fast 10cm!“ Und das in nur 45 Minuten! Wow. „Ok“ denke ich und merke wie ich in plötzlich wieder ganz klar und motiviert bin. Mir gefällt es aber, dass ich jetzt aktiver sein kann, in den Wehen greife ich immer ein von der Decke hängendes Tuch und in den Pausen liege ich gemütlich im Wasser und schlafe oder plaudere mit Anna-Lena, meinem Freund und Maja die inzwischen da ist. Manchmal nerven mich die Pausen, ich will einfach, dass es voran geht! Gleichzeitig bin ich auch so müde und frage mich, wie ich mich in der nächsten Zeit wach um ein Baby kümmern soll.

Auch wenn ich mich bereit fühle, so denke ich trotzdem immer noch, dass es noch ewig so weitergeht und Baby noch sehr weit weg ist. Aber Anna-Lena und Maja ermutigen mich das Köpfchen zu fühlen nachdem um 04:05 Uhr die Fruchtblase geplatzt ist. Wahnsinn, es ist anscheinend wirklich so weit und bald halte ich unser Baby im Arm.

Rausch, Rausch, Rausch

Seitdem die Fruchtblase geplatzt ist, hat der Druck sich nochmal erhöht. Mit jeder Wehe, die nun folgt, ist es ganz kurz davor, dass der Kopf geboren wird. In den Pausen rutscht er wieder ein Stück zurück, was ja sehr normal ist, mich aber ein wenig nervt. Eine starke Wehe, ich schiebe mit und plötzlich lässt der starke Druck ein wenig nach – das Köpfchen wurde geboren. Ich stelle mich auf eine Wehenpause ein und schaue stolz und erleichtert zu meinem Freund aber kurze Zeit später kommt eine weitere sehr kräftige Wehe. Das ganze Menschlein schlüpft um 04:15 Uhr in die Nabelschnur eingewickelt aus mir raus. Alles was ich sage ist „uiuiuiui“ und Anna-Lena gibt mir dieses kleine Baby auf meine Brust. Plötzlich ein weiterer Mensch im Raum, plötzlich bin ich Mama und mein Freund Papa. Wir begrüßen den kleinen Menschen, der eine Sekunde nachdem er aus dem Wasser gehoben wurde losgequäkt hat. Erst einige Minuten später entdecken wir, dass der kleine Bauchstrampelmensch ein kleiner Junge ist. Wir bleiben nur noch kurz im Wasser, weil ich Lust bekomme im Bett zu liegen und ihn das erste Mal anzulegen. Liegend kommt die Plazenta und erst dann durchtrennt mein Partner die Nabelschnur. Alle Müdigkeit ist wie weggeblasen und ich bin vollkommen berauscht und sehr stolz. Ich esse und trinke eine Kleinigkeit und möchte gerne direkt nachhause. Zuerst wird allerdings noch meine Dammverletzung genäht und Babylein untersucht.

Die Kuschel-Kennenlernzeit beginnt

Anna-Lena fährt uns nach ca. zwei Stunden nachhause und dort wird gekuschelt, bewundert und kennengelernt. Auch wenn ich sehr berauscht und glücklich bin ist mir der kleine Mensch noch etwas fremd. Ich kenne ihn ja noch gar nicht richtig und alles ist so neu.

Mittlerweile ist unser wunderbares Kind schon seit einem Jahr bei uns und alles Fremde ist weg. Die Bindung und Liebe und manchmal auch Überforderung ist groß.

Was für ein Geschenk in so einer liebevollen Umgebung ein gesundes Kind auf die Welt bringen zudürfen. Ich bin dem gesamten Geburtshausteam so dankbar. Die Vorsorgen, die Begleitung währendund nach der Geburt waren einfach schön und professionell und individuell und so vieles mehr. Ichdanke insbesondere Maja, Andrea, Anna-Lena und Tamara für eure wunderbare Betreuung, einenschöneren Start ins Elternsein hätte ich mir nicht wünschen können!

Joy