Geburtsberichte von Eltern
Ganz viel doll
Wo anfangen? Beim aufwachen in der Nacht? Bei den Wehen in den Tagen und fast Wochen davor? Vielleicht, denn auch die sind irgendwie schon Geburt für mich.
Vor der Geburt
Eine ganze Weile vor der Geburt hatte ich schon vermehrt Wehen. Senkwehen? Vielleicht.Diese Wehen waren schon lange als ein kleines Ziehen und Krampfen des Bauches spürbar und etwa eine Woche vor Geburt nahm die Intensität deutlich zu: das Gefühl ich müsse super dringend pinkeln, kombiniert mit einer Art Mens-Schmerz der mich daran hindert aufzustehen und pinkeln zu gehen. Nach kurzem Abwarten hätte ich dann pinkeln gehen können, musste aber nicht mehr.
Die Tage vergehen mit Spaziergängen, kleinen Gartenarbeiten, Sauna-Gängen.
Geburtsbeginn
Die Nacht ist ruhig. Zumindest bis ich gegen 02:00 von einer dieser Pipi-Wehen geweckt werde. Ich warte sie ab, gehe pinkeln und lege mich wieder hin. Denke mir nix dabei. Dann kommt ein Ziehen im unteren Rücken, auch das kenne ich schon aus den letzten Tagen, denke mir nicht viel dabei bis die Wehen deutlich stärker werden. Ich will nicht liegen bleiben, will mich winden, will meinen Rücken beugen, mich bewegen. Gegen 03:00 wecke ich A. Sage ihm, dass ich glaube dass es jetzt losgeht und das ich rüber gehe um mir was anzuziehen. Vielleicht will ich gleich noch eine Runde spazieren gehen.
Ich stapfe los. Erster Stop, Klo. Ich zittere am ganzen Leib. Alles schlottert an mir. Ich sitze auf dem Klo und kann nicht aufhören zu zappeln und zu zittern und zu zucken, frage mich, ob es dumm war alleine loszugehen. Habe aber auch keine Angst vor dem zittern, verbuche es ganz klar als sinnvolle Reaktion meines Körpers, Stress oder Anspannung abzubauen.
Zu Hause
Als das Zittern ein bisschen weniger wird, gehe ich weiter. Da kommt die nächste Wehe. Hui! Grade Stehen ist nicht mehr drin. Stütze mich auf dem Bett ab, versuche meine Becken vom einen Bein aufs andere zu schaukeln, uuuhhhh! Das Atmen fängt an. Keine Chance nicht zu atmen. Ziehe mir eine Unterhose an. Ein Bustier. Hose, Pulli. Wieder zurückkommen zu A.
Ok. Anna anrufen. Wehe mit Anna am Telefon. Losfahren. Ich denke an das geliehene Vornamenbuch aus dem Geburtshaus und an ein Handtuch zum unterlegen auf den Autositz falls die Fruchtblase platzt. Das Auto hat keine Griffe, das macht mich wahnsinnig! Ich lehne mich bei Wehen nach hinten, zwischen die Sitze, greife in A`s Arm, denke „Wie soll ich das aushalten? Wieso ist das jetzt schon so doll? Was soll denn da noch alles kommen?“
Im Geburtshaus
Die Fahrt zieht an mir vorbei.
Im Flur kommt uns Anna entgegen. Auf Socken. Nimmt mich in den Arm, ganz warm, ganz weich, ganz sicher. Gehe von ihr gestützt ins Geburtszimmer, es ist ganz gemütlich. „Ich hab dir eine Wanne eingelassen, willst du da rein?“ Ja!
Anna fasst immer wieder um meinen Kopf. Das tut gut. Bringt mich runter. Eine Hand an die Stirn, die andere an den Hinterkopf. Eine Wehe folgt der anderen. Zeit verschwimmt, Augen zu. Nur noch Gefühl. So viel Gefühl! Überall! Vor allem im unteren Rücken, da soll jemand gegen drücken, damit dieser Druck von innen ein Gegenüber hat. Damit es nicht einfach von innen durch meinen Rücken durchdrückt. Wirbel sprengt. Mich ausbeult.
Anna meldet an, dass sie mich vaginal untersuchen möchte. Ok. Muttermund 7 cm offen höre ich. In meinem Kopf sagt es gleichzeitig, dass das viel ist UND dass Anna uns gleich nochmal nach Hause schickt, Fenster putzen, spazieren gehen, warten bis der Muttermund ein bisschen weiter offen ist…
In den Wehen winde ich mich. Die Wanne ist glitschig. Ich denke immer wieder an „winden wie ein Aal“. Wenn ich irgendwann mal ein Aal bin, dann jetzt, in dieser Wanne, während den Wehen.
Geburtsarbeit
Ich bin wie aufgelöst. Soviel Körper, so wenig Fokus. Nix hat Fokus! Ich winde mich und um mich fließt es und es ist viel zu heiß! FENSTER AUF!!! Immer wieder!
Ich töne seit Beginn der Wehen, wüsste gar nicht, wie ich sonst damit zurecht kommen sollte. Obwohl zurecht kommen hier längst nicht mehr der angebrachte Begriff ist. Immer wieder die tiefen Töne. Viel oooohhh und aaaahhhh. Irgendwann wird es ein Jaaaahhh weil Andrea mir was von „ja sagen dazu, dass mein Kind tiefer in mein Becken rutscht“ erzählt. Anna und Andrea haben eine Direkt-Leitung zu mir. Sonst kommt nicht so viel an. Aber was die beiden mir sagen ist präsent und ist gesetzt.
„Ja, ich werde alles versuchen, was ihr mir sagt, ich vertraue euch.“
Mein Hals tut bald weh. Weil ich so laut bin. Will leiser sein um meinen Hals zu schonen aber das geht nicht. Die Wucht in mir wird immer doller, immer weniger weiß ich wohin damit, mit diesem vielen Doll.
„Wie lange noch?“ Und Anna sagt immer wieder sowas wie: „Solange du und dein Kind das aushalten könnt.“ Ich will nicht mehr. Ich kriege Wut. Was für eine Scheiße habe ich mir hier eingebrockt? Es geht nix vorwärts, ich bin dem ganzen völlig ausgeliefert und niemand sagt mir, wie lange das noch so weitergeht!
Und gleichzeitig bin ich mir sicher, dass das noch nicht der Punkt sein kann, von dem immer alle reden, dieser Punkt, an dem dann bald das ärgste geschafft ist.
Ich will nicht mehr!
Aus der Wanne raus, verschiedene Positionen, Orte… Die Wechsel zwischen den Positionen nehme ich wahr wie Umbaupausen im Theater. Zwischen den Orten bzw Positionen ist zwischen den Szenen. Vorhang zu, Licht an, Umbau. Dann geht mit der nächsten Wehe der Vorhang wieder auf und das Schauspiel geht weiter.
Kalte Waschlappen sind die ganze Geburt über ein Begleiter. Oft kriege ich einen auf die Stirn oder auf den Nacken. Oder der ganze Rücken wird mir mit dem erlösenden Kalt abgerieben. Erlösend. Ja, irgendwie wirklich. Es gibt in der Situation keine Erlösung außer das Ende aber das Kalt war immer wieder ziemlich gut.
An die Badewanne. Andrea wird sehr präsent.
Jetzt will sie, dass ich mein rechtes Bein auf einen ziemlich hohen Hocker stelle und, wenn eine Wehe kommt, mich am Wannenrand festhalte und nach hinten setze, in ihre Hände. „Ja genau, Andrea! Wie soll das gehen???“ Zack! Wehe. Machen. Andrea leitet mich an und mein Körper gehorcht, tut, was Andrea will. Tut Dinge, zu denen der letzte Rest Verstand in mir grade „NEIN!“ geschrien hat. Dieser letzte Rest ist scheinbar wirklich nur noch eine klägliche Pfütze, kleines Rinnsal das sich aufbäumt und mitreden will. „Schnauze halten! Übergib dich vollkommen. Du hast keine andere Chance.“ Seite wechseln. Mir werden die Beine gehoben und ich verschwinde immer mehr. Nicht negativ, nicht beängstigend (der Punkt ist längst überschritten). Ich verschwimme immer mehr mit dem Doll. Es wird immer unspezifischer und großräumiger, schiebt sich weiter nach unten aber erfüllt gleichzeitig meinen ganzen Körper. Meinen ganzen Geist, mein ganzes Sein ist nur noch dieses Doll. Da hängen Beine und Arme an dem Doll, auf denen kann ich stehen und mit denen kann ich mich festhalten, Ohren und Mund… ich denke das wars. Ohren und Mund für rudimentäre Kommunikation. Hören was Anna und Andrea sagen. Sprechen dass der Positionswechsel jetzt grade nicht möglich ist aber gleich, wenn Spannungs-Pause ist.
Mit dem linken Bein oben scheint es voran zu gehen. Zumindest höre ich sowas irgendwann. Ein „Oh, da ist es jetzt ordentlich vorwärts gegangen.“
Mamma Mia! Es weht mich in völlig andere Gefilde. Die ersten Wehen ohne Töne. Druck Druck Druck. Pressen. Völlig egal ob ich entzwei reiße oder nicht. Es ist jetzt völlig kompromisslos. Ich will dass alles reißt, alles sprengt, alles platzt um mich zu erlösen, um dieses Kind freizugeben, um mich freizugeben!
Die Geburt
Andrea leitet mich durch die letzten Wehen. Höre sie und Anna miteinander technisches bereden, Nebensächlichkeiten. Sie machen hier ihren Job. Ihre ganz normale, wahnsinnige, alltägliche Lohnarbeit. Großartig! Diese Gleichzeitigkeit von Normalität für sie und Grenzerfahrung für mich und das Kind und A. Und das im gleichen Raum.
Wehe kommt, wieder runter, pressen ohne Ton. Ok, jetzt geht irgendwas kaputt. Egal. So egal! Dieses Doll soll da raus! Fühlen. Kopf. Ganz weich, ganz zart. Das ist mein Kind. Dieses Doll ist ein Leben! Keine Zeit. Wieder hoch. Pause. Nächstes mal runter dann auf die Knie. „Ja, Wärme am Damm!“ Ich glaube Anna hält nochmal eine Kaffeekompresse an den Damm, dann ist das Kind da. Schießt in einem Schwall auf die Welt. Ich knie da, auf den Wannenrand gestützt, sehe nix, fühle nix, will nix. Der Druck ist endlich weg! Das Doll liegt da irgendwo vor mir, wird von den anderen gut versorgt. Ich will kurz meine Ruhe!
Die Drucklosigkeit genießen.
Nach der Geburt
„Nimm dein Kind und geh ins Bett.“ Ok. Keine Ahnung wie das funktioniert aber ich habe ein kleines nasses Kneul auf dem Bauch gepresst und gehe ins Bett. A. soll dicht neben mich. Da liegen wir. Ich bin nicht wirklich da. Sehe kleine Hände die genauso aussehen wie A`s Hände, muss lachen. Ich habe Plazenta-Geburt, Nabelschnur durchschneiden etc. mitgekriegt, aber zeitlich einordnen kann ich es nicht und viel gefühlt habe ich dazu auch nicht. Diese Zeit im Bett nach der Geburt ist so sacht und auf eine Art schwach im Vergleich zu den Stunden davor, dass ich wenig Erinnerung daran habe und mich nicht Gefühls-überschwemmt gefühlt habe. Im Nachhinein denke ich, dass es teilweise mit dem hohen Blutverlust zu tun hatte, wegen dem ich noch ins UKGM verlegt wurde, und dass das Bild von dem „und dann hast du dein Kind im Arm und alles ist egal!“ für mich nicht stimmt und ich Zeit brauchte um klarzukommen.
Ich bin dankbar für den sorgsamen, passenden Rahmen, den Anna, Andrea und A. mir gehalten haben um diese Aufgabe zu meistern!
Von Lea